Nachhaltiges Kommunikationsdesign –  ein Interview mit Stephan Bohle

Nachhaltiges Design, ökologisches Design, Ecodesign. Eine Strömung mit vielen Namen. Im Industriedesign bedeutet es oft, nachhaltige Materialien, Prozesse und Langlebigkeit der Produkte. Doch für das Kommunikationsdesign ist die Definition schwammiger. Stephan Bohle, Gründer des Think Tanks futurestrategy, freier Dozent und Strategieberater, erklärt uns im Interview, warum nachhaltiges Kommunikationsdesign mehr bedeutet als CO2-neutrales Druckpapier.

Herr Bohle, Nachhaltigkeit ist mittlerweile ein sehr strapazierter Begriff. Was bedeutet er für Sie konkret?

Leider wird er oft missbräuchlich verwendet – im Sinne von nachdrücklich. Der Begriff kommt ursprünglich aus der Forstwirtschaft und bedeutet: Schlage nur so viele Bäume wie im gleichen Zeitraum nachwachsen können. So erhalten wir eine zukunftsfähige, sprich nachhaltige, Bewirtschaftung des Waldes. Nachhaltigkeit bedeutet für mich Zukunftsfähigkeit. Wir leben und arbeiten seit einigen Jahrzehnten so, dass die Lebenserhaltungssysteme unserer Umwelt zerstört werden. Wir leben von der Substanz und nicht mehr von den Zinsen. Zunkunftsfähig werden wir erst wieder, wenn wir die Grenzen der Tragfähigkeit der Erde anerkennen und allen Menschen und zukünftigen Generationen auf dieser Erde ein menschenwürdiges Leben ermöglichen. Konkret heißt das für mich, dass ich täglich daran arbeite, meinen Energie- und Ressourcenverbrauch zu mindern, lokale und biologische Lebensmittel kaufe, Ökostrom beziehe und ansonsten eher auf Konsum verzichte, wobei Verzicht für mich Befreiung von Ballast bedeutet. Wenn ich Unternehmen berate, geht es um Themen wie Klimaschutz oder um Strategien für eine Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit im Wirtschaften und im Geschäftsmodell.

Nachhaltiges Design oder auch Ecodesign verbinden viele mit Industrie- und Produktdesign. Wie genau genau kann Kommunikationsdesign, also visuelle Kommunikation, nachhaltig sein?

Im Kommunikationsdesign verbinden viele mit Nachhaltigkeit die Verwendung von Recyclingpapier oder klimaneutrales Drucken. Kein Wunder, es wird ja auch kaum an unseren Designschulen gelehrt. Nachhaltigkeitskommunikation, wie ich sie verstehe, hat einen viel größeren Wirkungskreis. Lester Brown, der ehemalige Direktor des Worldwatch Institutes, hat gesagt, dass Nachhaltigkeitskommunikation das einzige Instrument ist, das im gegebenem Zeitraum für eine nachhaltige Bildung in Gesellschaft und Wirtschaft sorgen kann. Für Unternehmen ist die Nachhaltigkeitskommunikation einer der zentralen Tools, Nachhaltigkeit im Unternehmen umzusetzen. Es reicht nicht, wenn ein Management beschließt, sich auf einen nachhaltigen Pfad zu begeben. Jeder einzelne Mitarbeiter muss Nachhaltigkeit lernen und verstehen und das Wissen dann auf sein Unternehmen transformieren. Wesentlichen Anteil hieran hat die Nachhaltigkeitskommunikation, die informiert, inspiriert und motiviert, auch im Dialog mit den Marktpartnern. Mich frustriert, wie ignorant die Kommunikationsindustrie hier immer noch agiert. Sie tut nichts, weder im Nachwuchsbereich noch in den einschlägigen Organen und Verbänden. Ich versuche mit eigens entwickelten Nachhaltigkeitsmodulen an Designschulen die Themen Nachhaltigkeit und Nachhaltigkeitskommunikation voran zu bringen, aber es sind dicke Bretter zu bohren.

Nachhaltigkeit bedeutet oft Verzicht auf Konsum, Sie beschäftigen sich mit nachhaltigem Marketing. Wie passt Nachhaltigkeit zum werblichen Teil des Kommunikationsdesigns?

Sie haben es in der Frage schon formuliert. Ich bin der Überzeugung, dass Nachhaltigkeitskommunikation Nachhaltigkeit viel besser »verkaufen« muss. Wir können nicht Verzicht predigen und hoffen, dass die Menschen sich dafür begeistern. Das wird nicht funktionieren. Es müssen Geschichten mit positiven Themen spannend erzählt werden. Hier können wir durchaus von der Werbung lernen, die weiß, wie man attraktiv erzählen kann. Nehmen sie die Transition-Town-Bewegung, wo Bürger und ihre politischen Vertreter Energie- und Nahrungsversorgung selbst und lokal organisieren und sich dabei großartig fühlen. Oder die ganze Slowfood-Bewegung, die Lebensmittel und ihre Zubereitung zelebriert und wieder wertschätzt. In Berlin ist beispielsweise eine lebendige Szene entstanden. Diese und viele andere Projekte und Initiativen müssen mit einer faszinierenden Sprache und Visualität zeitgemäß vermittelt werden. Es geht dabei auch um eine Neudefinition von Werten und Status. Cool ist nicht mehr der SUV-Fahrer in seiner schweren Limousine, sondern der Manager, der auf einem schicken Fahrrad zur Arbeit fährt. Das ist die Rolle, die nachhaltiges Design spielen muss.

Was raten Sie Designbüros, die sich in Richtung Ecodesign entwickeln möchten? Was sind die ersten Schritte zu mehr Nachhaltigkeit?

Interessanterweise bin ich dieser Frage mit meinen Studenten an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) erst kürzlich nachgegangen. Wie könnte ein Tool-Kit aussehen, dass dem Designer oder dem Büro auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit helfen kann? Zuerst muss man ein Grundverständnis zum Thema Nachhaltigkeit entwickeln. Das braucht entweder viel Zeit oder Geld, indem man sich externe Expertise einkauft. Mal eben schnell was zum Thema Nachhaltigkeit machen funktioniert nicht, da überschätzen sich die Designer und unterschätzen die Komplexität des Themas. Man kann es aber auch erstmal von innen betrachten. Hier bieten sich Umweltmanagementsysteme wie EMAS-easy an. In Zusammenarbeit mit seinen Auftraggebern ist es immer ein schmaler Grad, wie ernst es das Unternehmen mit einer nachhaltigen Entwicklung meint. Man landet schnell beim Greenwashing und schadet dann sich und seinem Auftraggeber. Ich habe in Kooperation mit dem Art Directors Club Deutschland einen Workshop konzipiert, der eine erste Basis für Büros oder Agenturen für eine nachhaltige Entwicklung bieten kann.

Welche Beispiele kommen Ihnen direkt in den Kopf, wenn Sie an gelungenes Ecodesign im Bereich Kommunikationsdesign denken?

In meinem Buch »Cause&Effect – Visualizing Sustainability« habe ich mit Sven Ehmann vom Gestalten Verlag Projekte aus der ganzen Welt zusammengetragen, die gelungene Nachhaltigkeitskommunikation zeigen. Zum Beispiel die Website eingutertag.org vom Designbüro Intergral Ruedi Baur, die auf einfache Weise dem User Wege aufzeigt, seinen CO2-Fußabdruck zu reduzieren. Herausragend meiner Meinung nach ist der Outdoor-Ausrüster Patagonia, der es wie kein anderes Unternehmen versteht, Geschichten über seine Nachhaltigkeitsaktivitäten spannend und mitreißend zu erzählen. Die Restaurantkette Chipotle zeigt mit einem eindrucksvollen Animationsfilm »Back to the start« ihr Umdenken in der Produktion von Lebensmitteln.

Welche Rolle spielt das Kommunikationsdesign in der Entwicklung von nachhaltigen Kommunikationsstrategien?

Ich würde die Frage so verstehen, welchen Beitrag eine Nachhaltigkeitskommunikation für eine Nachhaltigkeitsstrategie leisten kann? Ich möchte ein Beispiel anführen, bei der Nachhaltigkeistkommunikation viel mehr einen wichtigeren Part übernehmen müße: Beim deutschen Vorzeigeprojekt Energiewende. Es hat breite Unterstützung in der Bevölkerung und wir sind auf einem guten Weg. Politiker, Lobbyverbände und die Energiebranche haben dafür gesorgt, dass diese Unterstützung brökelt. Eine erfolgreiche Nachhaltigkeitkommunikation müsste hier mit Informationskampagnen und Dialoginstrumenten in einer attraktiven Sprache und Visualität gegensteuern und für weitere Unterstützung und für mehr Begeisterung für die Energiewende werben.

Welche Trends erkennen Sie in der Gestaltungsbranche? Entwickelt sie sich eher hin oder weg von der Idee des nachhaltigen Designs?

Meiner Einschätzung nach ist Design und Werbung größtenteils immer noch einer der Motoren einer nicht nachhaltigen Lebens- und Wirtschaftsweise. Stichworte hier: geplante Obsoleszenz bezogen auf das Material aber auch auf die äußere Hülle – je nach Trend und Mode – und das Aufheizen des Konsumenten durch verführerische Kampagnen, die überflüssige Bedürfnisse in ihm wecken. Die Design- und Kommunikationsbranche ignoriert das Thema und der Nachwuchs wird weitestgehend nach altem Muster ausgebildet.

Michael hatte bereits 2013 das Vergnügen Herrn Bohle bei einem Event von Hessen Design in Wiesbaden zum Thema »Warum Ecodesign?« persönlich kennenzulernen. Umso schöner fanden wir es, dass Herr Bohle uns nun unsere neugierigen Fragen beantwortet hat – vielen Dank dafür!

Das Buch »Cause&Effect – Visualizing Sustainability« können wir übrigens sehr empfehlen – wir haben es auch!

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